Minusstunden sind ein häufig diskutiertes Thema im Arbeitsrecht. Denn nicht immer sind diese zulässig – und nicht jede Unter- bzw. Minderstunde muss vom Arbeitnehmer ausgeglichen werden. Wann sie rechtens sind, wie sie verrechnet werden und wann sie sogar zum Kündigungsgrund werden können, klären wir im Beitrag mit den wichtigsten Fragen rund um die Minusstunden.
Inhalt
Im Folgenden werden viele Begriffe aus Gesetzestexten verwendet. Um den Gesetzeswortlaut nicht zu verändern, wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
Was sind Minusstunden?
Laut Definition liegen Minusstunden vor, wenn die tatsächlich geleistete Arbeitszeit die arbeitsvertraglich festgelegte Arbeitszeit unterschreitet (LAG Hessen – 9 Sa 1287/15).
Voraussetzung dafür ist das Bestehen eines Arbeitszeitkontos, welches eine Abweichung von der Regelarbeitszeit ins Plus oder Minus ermöglicht. Gibt es keine Einigung über ein Arbeitszeitkonto im Arbeitsvertrag, dann sind Minusstunden grundsätzlich unzulässig (LAG Nürnberg – 4 Sa 423/20).
Gibt es einen Unterschied zwischen angeordneten und freiwilligen Minusstunden?
Unverschuldete Minusstunden werden nicht vom Arbeitnehmer verursacht. Sie werden vom Arbeitgeber angeordnet, beispielsweise wegen geringer Auslastung. Das geht nur, wenn eine vertragliche Regelung über ein Arbeitszeitkonto vorliegt, dem der Arbeitnehmer zugestimmt hat. Wenn der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls dann gemäß § 615 S. 1, 3 BGB zu tragen hat, befindet er sich in Annahmeverzug die angebotene Leistung des Arbeitnehmers anzunehmen. Folglich dürfen für die Zeit keine Minusstunden eingetragen werden. Eine Ausnahme ist nur mit Einigung möglich. Die kann im Einzelfall in dem Arbeitsvertrag, einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung zu sehen sein. Eine mündliche Absprache über Minusstunden ist möglich, soweit diese keine vertragliche Änderung bedeutet und im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers liegt.
Bei freiwilligen Minusstunden hat der Arbeitnehmer Einfluss auf die Entstehung und muss sie dementsprechend nachholen (Beismann, NJW-Spezial 2022, 114).Das Arbeitszeitkonto fällt zunächst ins Minus und der Arbeitnehmer kann den negativen Saldo flexibel wieder durch an anderen Tagen geleistete Überstunden ausgleichen. Ob es dafür eine Frist gibt, richtet sich danach, was im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag steht.
Was gilt als Sonderurlaub (und damit nicht als Minusstunde)?
Nur das, was im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag vereinbart ist. Bei Tarifverträgen oder im Beamtenverhältnis gibt es meist Sonderurlaub. Beispiele sind die eigene Eheschließung, der eigene Umzug (einmal pro Kalenderjahr) oder ein Todesfall in der Familie. In diesen Fällen kann der Arbeitnehmer ein bis mehrere Tage mit Entgeltzahlung von der Arbeitsleistung freigestellt werden, sodass keine Minusstunden entstehen.
Sind Arzttermine während der Arbeitszeit Minusstunden?
Dazu gibt es Informationen in diesem Beitrag: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Krankmeldung beim Arbeitgeber: So geht’s!
Gibt es einen zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen man Minusstunden aufholen muss?
Ein begrenzter Ausgleichszeitraum, um die Minusstunden wieder auszugleichen, kann im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag festgelegt werden. Eine mündliche Absprache über den Ausgleichszeitraum ist möglich, soweit diese keine vertragliche Änderung bedeutet und im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers liegt.
Können Minusstunden zum Kündigungsgrund werden?
Voraussetzung für eine Kündigung wegen Minusstunden ist das Fehlen einer Einigung über ein Arbeitszeitkonto oder eine Überschreitung der Höchstgrenze an vereinbarten Minusstunden (LAG Mecklenburg-Vorpommern, NZA-RR 2015, 348; LAG Hamburg NZA-RR 2017, 190). Minusstunden stellen dann eine Vertragspflichtverletzung dar und können je nach Einzelfall eine Abmahnung bis außerordentliche Kündigung bedeuten. (LAG Hamburg NZA-RR 2017, 190; LAG Mecklenburg-Vorpommern, NZA-RR 2015, 348).
Ist die Höhe der zulässigen Minusstunden auf eine bestimmte Anzahl geregelt?
Nein, es gibt keine gesetzliche Begrenzung auf eine Anzahl an Minusstunden. Diese kann im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag vereinbart werden. Eine mündliche Absprache über Minusstunden ist möglich, soweit diese keine vertragliche Änderung bedeutet und im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers liegt.
Können Minusstunden bei einer Kündigung mit ausstehendem Gehalt oder Urlaubstagen verrechnet werden?
Minusstunden können mit ausstehendem Gehalt verrechnet werden, wenn eine Verrechnung im Arbeitsvertrag festgelegt oder, soweit im Einzelfall zulässig, mündlich vereinbart wurde und auf einem vereinbarten Arbeitszeitkonto basiert (BAG, NZA 2011, 640). Ansonsten kann bei einer Kündigung und ausstehender im Voraus bezahlter Arbeitsleistung gegebenenfalls ein Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers entstehen, wenn dies im Arbeitsvertrag vereinbart ist.
Minusstunden können nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers mit verbleibenden Urlaubstagen verrechnet werden (LAG Schleswig-Holstein, 1 Sa 359 a/14).
Der Arbeitnehmer muss grundsätzlich die Möglichkeit bekommen, die Minusstunden nachzuarbeiten. Wird er freigestellt oder fristlos gekündigt, muss er die Minusstunden nicht finanziell ausgleichen (LAG Nürnberg – 4 Sa 423/20).
Was passiert mit Minusstunden bei längerer Abwesenheit durch Krankheit oder Elternzeit?
Für den Ausgleich von Minusstunden gilt der Ausgleichszeitraum, der vertraglich festgelegt ist. Ist die fehlende Arbeitszeit am Ende dieser Zeitspanne nicht ausgeglichen, kommt es zu Lohnabzügen, wenn die Verantwortung für die Minusstunden beim Arbeitnehmer liegt (https://www.arbeitsvertrag.org/minusstunden/).
Wird dieser Ausgleichszeitraum durch Krankheit oder Elternzeit unverschuldet verkürzt und es besteht keine Möglichkeit die bereits vergüteten Minusstunden durch Mehrarbeit oder Urlaubstage auszugleichen, kommt es auf die Abmachung im Einzelfall an.
Dabei ist an eine mögliche Verjährung der Minusstunden mit Ablauf von drei Jahren zu denken, § 195 BGB.
Was passiert mit Minusstunden in der Lehre / Ausbildung?
Wenn Auszubildende vom Arbeitgeber früher nach Hause geschickt werden, also Minusstunden angeordnet werden sollen, dann zählen diese gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 2a BBiG als bezahlte Freistellung. Freiwillige Minusstunden kann der Auszubildende je nach Vereinbarung mit dem Arbeitgeber machen und wieder ausgleichen, angeordnete Minusstunden für Auszubildende sollen jedoch nicht zustande kommen.
Gibt es einen Unterschied zwischen Teil- und Vollzeitkräften im Umgang mit Minusstunden?
Wir haben auch bei gründlicher Recherche keinen Grund für eine solche Unterscheidung finden können. Allgemein gilt der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz (BAG 21.05.2014 – 4 AZR 50/13).
…und bei Saisonarbeit / Zeitarbeit / Kurzarbeit?
Bei saisonaler Arbeit kann vertraglich festgehalten werden, in welchen Monaten Mehrarbeit geleistet werden soll und in welchen Monaten die Auszahlung dieser Mehrarbeit erfolgt.
Bei saisonaler Arbeit hat der Arbeitnehmer nicht die Freiheit, sich die Arbeit selbst einzuteilen. Vielmehr gibt der Arbeitgeber Arbeitszeiten aufgrund saisonaler Bedingungen vor. Rechtlich gesehen erfolgt die Arbeitsleistung während der Hauptsaison, während in der Nebensaison keine Arbeitsleistung erfolgt und Überstunden abgebaut werden. In welchen Abständen und in welcher Höhe die Lohnzahlung erfolgt, ist Vereinbarungsfrage. Eine mündliche Absprache über Minusstunden ist möglich, soweit diese keine vertragliche Änderung bedeutet und im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers liegt.
Kann man Minusstunden ablehnen?
Minusstunden können gemäß dem Arbeitsrecht nur dann entstehen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Vertrag ein Arbeitszeitkonto vereinbart haben. Gibt es keine Vereinbarung darüber, dann können demnach beide Seiten Minusstunden ablehnen. Der Arbeitnehmer müsste dann seine Arbeit weiterhin vor Ort anbieten, sodass er seinen Lohnanspruch gemäß § 615 S. 1 BGB nicht verliert.
Auf die Absprache kommt es an
Beim Thema Minusstunden können viele Faktoren eine Rolle spielen. Ob und wie sie ausgeglichen werden müssen, hängt häufig von der jeweiligen Situation und der Vereinbarung im Arbeits- oder Tarifvertrag ab.
Wichtig ist, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ihre Rechte und Pflichten kennen, um Missverständnisse zu vermeiden. Wer unsicher ist, sollte frühzeitig Rücksprache mit der Personalabteilung über die Minusstunden-Regelung im eigenen Unternehmen halten.
Der Artikel wurde nach bestem Wissen und Gewissen sorgfältig erstellt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit der Inhalte gestellt. Die hier angegebenen Informationen ersetzen keine individuelle Beratung. Sie dienen zudem nicht als medizinischen Rat. Wer die hier zur Verfügung gestellten Informationen nutzt, handelt auf eigene Gefahr und Verantwortung. Eine Haftung für den Inhalt sowie Schäden und/oder Folgeschäden, die sich aus der Verwendung der hier zur Verfügung gestellten Informationen ergeben, wird daher nicht übernommen.